www.widerstandsforschung.de
Zu allen Zeiten und in allen Herrschaftsformen hat es mehr oder minder Widerstand bestimmter Menschen gegen oktroyierte Abläufe, Normen und Werte gegeben. Widerstand, in seiner schwächeren Ausprägung auch als Protest bzw. Resistenz bezeichnet, gab es in Deutschland sowohl im Kaiserreich als auch im Dritten Reich. Auch die Geschichte der BRD und der DDR ist durchzogen von Widerstands- und Protesthandlungen Einzelner oder von Gruppen.„Pflicht
Doch wehe, wenn der Staat sich irrt,
wo ist dann das Gericht ?
Und wenn die Politik versagt,
wer spuckt ihr ins Gesicht ?
Wer nimmt den General beim Wort,
wenn alle Welt zerbricht ?
Und wenn das AKW hochgeht,
wer macht es wieder dicht ?
Wer sorgt dann für das Bürgerwohl,
und wer von allen nicht ?
`Wenn Recht zu Unrecht wird,
wird Widerstand zur Pflicht !`“
[aus: Wolfgang S. Prause (Kartograph), „Messer scharfe Worte“, Hamburg 1981]
Willkommen auf der Homepage
widerstandsforschung.de
Diese Homepage ist nichtkommerziell und im Aufbau.
Wir wollen Fragen nachgehen:
Was ist Widerstand ?
Von wem wird Widerstand geleistet ?
Warum wird Widerstand geleistet ?
Warum wird kein Widerstand geleistet?
Gibt es soziale und regionale Unterschiede beim Widerstand ?
Wie unterschieden sich Widerstand, Resistenz und Protest voneinander ?
Welche historischen Vorbilder gibt es über Widerstand ?
Welche wissenschaftlichen Arbeiten existieren ?
Wie ist die bundesdeutsche / europäische / weltweite Widerstandsforschung aufgebaut, wie kooperiert sie miteinander ?
u. v. a. m.
Literatur:
Die Grafschaft Bentheim im Visier der Gestapo
Es ging nichts
ohne die freiwillige Mitarbeit der Bevölkerung
„Die voluminöse Dissertation Herbert Wagners umfasst vier
große Teile, wobei für den regionalgeschichtlich interessierten Laien der Teil
A mit seinen ungefähr 150 Seiten weniger von Belang ist, da sich der Autor hier
zunächst mit theoretischen Fragen um die Aspekte Staatsterror, Widerstand,
Ohnmacht oder Allmacht der Gestapo, die Beziehung von Region und Terror,
Sozialkontrolle, Verdrängung und Erinnerungskultur beschäftigt. Mit dem Teil B
setzt die regionalhistorische Untersuchung ein. Wagner stellt die politische
Situation des Landkreises, die Wahlen mitsamt der NSDAP - Entwicklung wie auch
seine Hauptquelle, die über 50.000 Karten umfassende Kartei der Osnabrücker
Gestapo, vor. Diese wurde früher von den Amerikanern im Berlin Document Center
verwaltet. Erst in den 1990er Jahren nach Osnabrück gekommen, steht sie
seitdem - verfilmt auf Microfiche - erstmals komplett der Forschung zur
Verfügung. 1929 von der Politischen Polizei der Weimarer Republik angelegt und
1933 von der Gestapo bis 1945 fortgeführt, finden sich hier abertausende
Eintragungen für den Regierungsbezirk Osnabrück.
Wagner hat die Sisyphusarbeit auf sich genommen, hieraus die
Einträge herauszusuchen, die Männer und Frauen mit Grafschafter Wohnorten
betreffen. Viele seiner Funde lassen Rückschlüsse zu, wie die Gestapo zu ihren
Erkenntnissen gekommen ist. So besteht ein wichtiges Anliegen der Arbeit darin,
aufzuzeigen, wie unerlässlich Denunzianten und Zuträger, wie Nachbarn, der
Blockwart, das Landratsamt, der Zoll, die Polizei oder Parteistellen und
–angehörige, bei der Informationsbeschaffung waren. Die wenigen Gestapobeamten
konnten sich offensichtlich auf eine Vielzahl von Menschen und Behörden
stützen, die sich an der Verfolgung von NS-Gegnern beteiligten. Diese Helfer
lassen sich in etlichen Fällen sogar noch namentlich identifizieren.
Wichtig ist es dem Autor, dabei einen Grafschafter
Nachkriegsmythos zu entlarven, nach dem im entlegenen Grenzkreis im „Dritten
Reich“ eigentlich kaum etwas Relevantes geschehen ist und es nur wenige
Nationalsozialisten gegeben habe. Wenn es doch einmal zu Unterdrückungs- und
Verfolgungsmaßnahmen gekommen war, so wurde dies dem Kreisleiter und anderen
hochrangigen, möglichst nicht kreisansässigen NS - Funktionären zugeschrieben.
Der Autor weist demgegenüber nach, dass viele Grafschafter
privat oder beruflich der Gestapo und damit dem NS - Terror zuarbeiteten. Er
ordnet deren freiwillige Mitarbeit in den Bereich „Sozialkontrolle“ ein.
Folglich beschäftigt sich Wagner mit den sich für eine Beobachtung und
Ausspähung der Bevölkerung anbietenden Orten, also den Gaststätten, dem Betrieb
oder der Nachbarschaft, in denen es zu der zumeist freiwilligen Bespitzelung
der Andersdenkenden kam. Ferner schildert er das Instrumentarium des Terrors
gegenüber politisch auffällig gewordenen Menschen.
Für die Grafschafter NS - Zeit hochangereichert mit
Informationen sind die Kapitel 6 bis 8. Hier skizziert Wagner verschiedene
Milieus und deren Beobachtungs- und Verfolgungsinten-sität, wobei er dies
nachfolgend für einzelne Gruppen noch detaillierter ausführt, so etwa für die
Sozialdemokraten, die Kirchen, die Juden oder die Homosexuellen. Den beiden
zahlenmäßig bedeutendsten Opfergruppen - neben den Juden - widmet er
ausführliche Unterkapitel: den Kommunisten und den Fremdarbeitern. Ebenso geht
der Autor auf die einzelnen Delikte der erfassten Personen ein, die vom
„Schwarzhören“ ausländischer Rundfunksender, der Führerbeleidigung, der
Wehrkraftzersetzung und Kirchenkampfdelikten über das Schwarzschlachten und
Wirtschaftsvergehen bis hin zur „Rassenschande“ reichen.
Den dritten Teil der Arbeit,
über 100 Seiten, widmet Wagner einem Einzelfall, indem er den Lebens- und
Leidensweg des Gildehausers Heinrich Kloppers und seine Eingebundenheit in
verschiedene örtliche Milieus nachzeichnet. Der aus religiösen und politischen
Gründen überzeugte NS - Gegner Kloppers, nach landläufigen Vorstellungen kein
typisches NS - Opfer, da er keinerlei aktiven Widerstand leistete, musste seine
bloße Weigerung, sich anzupassen, mit dem Leben bezahlen. Detailliert wird
aufgezeigt, welche Personen und Institutionen mitgeholfen haben, Kloppers ins
Visier der Gestapo zu bringen, aber auch, wer versuchte, ihm zu helfen.
Erschütternd ist die Schilderung der Nachkriegszeit mit dem langjährigen Kampf
der Familie um die Anerkennung Kloppers als NS - Opfer mit Entschädigungsanspruch
- gegen massive Widerstände aus dem Dorf und der Bürokratie, während die
Mitbeteiligten der Verfolgung oder deren Familien üppige Pensionen kassierten.
Das Werk schließt mit dem
vierten Teil, dem Literatur- und Archivalienverzeichnis und Statistiken.
Leider fehlt ein Namens- und Ortsregister, so dass viele hochinteressante
Einzelinformationen bei Bedarf schwer wiederfindbar sind. Trotz des
beträchtlichen Seitenumfangs hätte bei dem stolzen Preis der Verlag etwas
weniger auf ein platzsparendes Druckbild setzen sollen. Der durch den
soziologischen Sprachduktus für viele eher mühsam zu lesende Text wird weder
durch Bilder noch durch Absätze aufgelockert, manchmal wird selbst bei
Zwischenüberschriften jeder Abstand zum vorhergehenden und nachfolgenden Text
eingespart (S. 587ff). Auch längst nicht sämtliche benutzte Literatur, so z. B.
Biographien aus der „Emsländischen Geschichte“, taucht im Literaturverzeichnis
auf, wiederum wohl um Platz zu sparen. Gelegentlich fehlt relevante neueste
regionalgeschichtliche Literatur, wie etwa der Artikel Gerd Steinwaschers zum
regionalen KPD - Widerstand im Emsländischen Jahrbuch 47 / 2001 oder der Sammelband
250 Jahre Bentheim-Hannover aus dem Jahre 2002. Dies schmälert den Wert der
Arbeit aber keineswegs. Wissenschaftliche Sprache und Druckbild wirken
vielleicht beim ersten Durchblättern abschreckend, doch der Informationsgehalt
des Buches ist enorm, wenngleich nicht jeder Leser allen Schlussfolgerungen des
Autors zustimmen mag. Insgesamt handelt es sich jedoch um ein wegweisendes
Werk zur Erforschung der Grafschafter NS - Zeit !
Herbert Wagner, Die Gestapo war
nicht allein ... Politische Sozialkontrolle und Staatsterror im
deutsch-niederländischen Grenzgebiet 1929 - 1945 (= Anpassung - Selbstbehauptung
- Widerstand, Bd. 22), Münster 2004 (zugleich Diss. FernUniversität Hagen
2002), 703 S., 49,90 Euro.“
Dr. Helmut Lensing, Greven /
Emsdetten
[ä.
veröffentl. in KuNOH, Das Kulturmagazin der Grafschaft, Nr. 17, S. 26, Lingen
April / Mai 2005]
Auf der Basis von Quellen zeichnet der Autor für die kleine Region der Grafschaft Bentheim ein möglichst exaktes und vollständiges Bild der Rolle der Gestapo nach, aus dem Schlüsse über die Arbeitsweise dieser Organisation gezogen werden können. Auf diese Weise versucht Wagner in seiner Arbeit, die als Dissertation an der Fernuniversität Hagen eingereicht wurde, einen neuen Blick auf die Repressionsmechanismen des Nationalsozialismus zu werfen, da in der bisherigen Wahrnehmung immer von einer Allmacht der Repressionsorgane ausgegangen wurde, die sowohl individuelle Handlungsspielräume vernichteten als auch ohne Kollaboration der Zivilbevölkerung hinreichend funktionierten.
Forschungsergebnisse aus den 1990er Jahren deuteten jedoch an, dass man die Gestapo entmystifizieren müsse. Auch Herbert Wagner belegt in seiner vorliegenden Arbeit, dass die Gestapo sehr wohl auf ein für sie günstiges Umfeld angewiesen war und in der Ämterkonkurrenz des NS auch für die Gestapo keine Allmächtigkeit herrschte. Auch der Terror allein vermag es nicht, den Erfolg der Diktatur zu erklären, wenn nicht zumindest in Teilen der Bevölkerung eine Zustimmung geherrscht hat. Dieser Grundkonsens könnte z.B. die „Volksgemeinschaft“ gewesen sein, innerhalb derer zwar über die Mittel gestritten wurde, jedoch Einklang über ein gemeinsames Interesse bestand.
War Staatsschutz in der Weimarer Republik noch reaktiv, d.h. gegen existierende revolutionäre Milieus gerichtet, wurde das Augenmerk seit 1933 auf Prävention gegen alle Gruppen und Einzelpersonen gesetzt, die nicht mit der NS-Ideologie in Einklang standen. Verfolgt wurden nun nicht mehr gegen den Staat gerichtete Taten, sondern auch diejenigen, bei denen man über V-Mann-Arbeit oder Denunziation eine staatsfeindliche Gesinnung vermutete.
Herbert Wagner: „Die Gestapo war nicht allein...“. Politische Sozialkontrolle und Staatsterror im deutsch-niederländischen Grenzgebiet 1929–1945. Münster: LIT Verlag, 2004
Benjamin Huhn
[aus: Informationen Heft 64, Berlin 2007]
links:
Herbert Wagner: Die Gestapo war nicht allein... - InhaltsverzeichnisImpressum:
www.widerstandsforschung.de
Dipl. Päd. Dr. Dr. Herbert Wagner
P. O. B. 1127
D-48442 Bad Bentheim
e-mail: widerstandsforschung@arcor.de
Die Betreiberin übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit der Angaben, trägt keinerlei Veranwortung für den Inhalt von fremden Webseiten, auf die per link in dieser Homepage hingewiesen wird, und lehnt jegliche Verantwortung für fremde Einträge und Äußerungen im Gästebuch ab.
Es wird jegliche Haftung, gleich welcher Art, abgelehnt !